Ein ganzes Schuljahr zu meistern ohne Hilfe beim Lernen – das ist für viele Schulkinder kaum möglich. Dazu passt auch das Ergebnis einer Umfrage des Nachhilfeanbieters Studienkreis: 62 Prozent der befragten Eltern berichten, dass ihr Kind im Schuljahr 2023/24 Unterstützung erhalten hat. Zumeist übernehmen die Eltern dies selbst, doch wenn Zeit und Geld fehlen, wird es auch mit der Nachhilfe schwierig. Denn die meisten Angebote – ob privat oder von professionellen Anbietern – kosten Geld. Das führt laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung dazu, dass kommerzielle Nachhilfe soziale Ungleichheiten sogar tendenziell verstärkt, da Elternhäuser mit geringem Einkommen bei der Nachhilfe deutlich zu kurz kommen.
Genau hier setzt das Duisburger Projekt „Hochfelder Lernpaten“ der Organisation Urbane Zukunft Ruhr an. Das Mentorenmodell bringt Kinder der Gemeinschaftsgrundschule Brückenstraße mit engagierten Neuntklässlerinnen und -klässlern sowie Oberstufenschülerinnen und -schülern des Mercator-Gymnasiums zusammen, um Lernförderung und soziale Unterstützung zu bieten und so für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen. Für die Grundschulkinder ist das Angebot kostenlos, die Lernpatinnen und -paten bekommen vom Projektträger ein Honorar. „Ein Gewinn für beide Seiten – und für die Gemeinschaft“, sagt Ibrahim Yetim, Geschäftsführer von Urbane Zukunft Ruhr. „Durch Nachhilfe, Hausaufgabenbetreuung und persönliche Begleitung stärken die Lernpatinnen und Lernpaten nicht nur die schulische Leistung, sondern auch das Selbstbewusstsein der Kinder.“ Doch auch die Patinnen und Paten selbst profitieren von ihrem Engagement. Drei von ihnen sowie zwei Grundschulkinder berichten von ihren Erfahrungen mit dem Projekt.
„Ich habe das Gefühl, den Kindern nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch ein Stück Verständnis zu schenken“
„Ich war die Erste, die von dem Projekt Hochfelder Lernpaten erfahren hat, weil mich unsere Schulleiterin direkt angesprochen hat. Sie wusste, dass ich schon mal Nachhilfe gegeben hatte. Die Idee fand ich sofort gut! Ich sollte noch weitere Lernpatinnen und Lernpaten suchen. Das war aber gar kein Problem. Fast alle, mit denen ich gesprochen habe, waren begeistert und haben es wiederum anderen weitererzählt. Natürlich spielt auch die Bezahlung eine Rolle: Wir bekommen 15 Euro die Stunde, das ist in meinem Alter viel Geld. Ich spare damit für meinen Führerschein.
Für mich war abgesehen vom Honorar aber auch direkt klar, dass ich meine Leidenschaft fürs Ehrenamt mit meinem Interesse am eigenen Lernen verbinden möchte. In meiner alten Grundschule fiel vielen Kindern das Erlernen des Abc schwer – etwas, das ich aus eigener Erfahrung nachvollziehen kann. Als ich mit neun Jahren aus Syrien kam, musste ich selbst lernen, mich in einem neuen Land und einer neuen Sprache zurechtzufinden. Diese Erinnerungen begleiten mich jeden Tag und geben mir das Gefühl, den Kindern nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch ein Stück Verständnis zu schenken.
Es macht mich glücklich, wenn mir ein Kind mit strahlenden Augen entgegenkommt und sagt, wie sehr es sich freut, mit mir zu lernen. Das gibt mir das Gefühl, mit der Nachhilfe wirklich etwas zu bewirken. Neben dem pädagogischen Mehrwert spielt auch der praktische Nutzen eine Rolle. So erlange ich wertvolle Kompetenzen, die ich für meine Zukunft und meinen Lebenslauf brauche, falls ich zum Beispiel Medizin studieren möchte. Dieses Projekt ist für mich weit mehr als Nachhilfe – es ist eine Herzensangelegenheit, die mir zeigt, wie schön und bereichernd es ist, gemeinsam zu wachsen.“

Mayas ist 16 Jahre alt und geht in die 10. Klasse des Mercator-Gymnasiums in der Duisburger Stadtmitte. Sie war die erste Mentorin des Projekts und ist noch immer mit großer Freude dabei.
„Ich glaube fest daran, dass Lernen Freude machen kann und jeder Tag neue, wertvolle Erinnerungen schenkt“

Radhika ist 17 Jahre alt und geht in die 10. Klasse des Mercator-Gymnasiums. Ihr macht die Tätigkeit als Lernpatin nicht nur Spaß, sie lernt dabei selbst sehr viel.
„Die Arbeit mit den Grundschulkindern ist für mich eine Erfahrung, die mich jeden Tag aufs Neue berührt. Es ist, als würde ich in die Rolle einer großen Schwester schlüpfen, die nicht nur Mathe, Deutsch oder Englisch erklärt, sondern auch zuhört und gemeinsam mit den Kindern lacht. Dabei lerne ich oft genauso viel von den Kindern wie sie von mir.
Die Momente, in denen wir gemeinsam Hausaufgaben machen, lesen oder zusammen etwas spielen, erfüllen mich mit großer Freude. Ich spüre, dass sie in mir nicht eine Lehrerin sehen, sondern jemanden, der immer ein offenes Ohr hat und ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht. Ich erinnere mich besonders gerne an einen Tag kurz vor den Sommerferien, an dem wir zusammen Eis gegessen und Fangen gespielt haben. Dieser Austausch hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, auch einfach mal den Moment zu genießen.
Für mich ist diese Tätigkeit nicht nur ein Weg, praktische Erfahrungen zu sammeln, sondern auch ein persönlicher Glücksfall – denn ich glaube fest daran, dass Lernen Freude machen kann und jeder Tag neue, wertvolle Erinnerungen schenkt.“
„Lernen muss nicht immer steif und formell sein, sondern kann auch Spaß machen“
„Seit Mai letzten Jahres bin ich als Lernpatin im Projekt aktiv und sammle dabei wertvolle Erfahrungen, die mein Leben bereichern. Was mich von Anfang an überzeugt hat, war die Möglichkeit, meine eigene Zeit sinnvoll einzusetzen und gleichzeitig etwas zu bewirken. Der tägliche Einsatz nach der Schule in den Projekträumen, das strukturierte Ankommen, das Organisieren der Termine und das Lernen in kleinen Gruppen – all das hat mir gezeigt, wie viel Freude es macht, Verantwortung zu übernehmen.
Anders als in einem traditionellen Nachhilfeunterricht geht es nicht nur um trockene Lerninhalte, sondern auch um ein echtes Miteinander. Dabei erleben wir täglich kleine, lustige Momente. Einmal war ein Kind beim Lesen so fasziniert von den Bildern im Buch, dass es, statt nur vorzulesen, plötzlich zu lustigen Bildbeschreibungen übergegangen ist, über die wir beide herzlich lachen konnten. Solche Augenblicke sind für mich ein Zeichen, dass Lernen nicht immer steif und formell sein muss, sondern auch Spaß machen kann.
Ich weiß, dass ich den Kindern nicht nur mit den Unterrichtsinhalten helfe, sondern auch ein Stück weit zu ihrem Selbstvertrauen beitrage – das ist unbezahlbar.“

„Mittlerweile ist Mathe mein Lieblingsfach!“

Sivana, 10, aus der Klasse 4a der Gemeinschaftsgrundschule Brückenstraße in Duisburg möchte mal Altenpflegerin werden. Durch die Nachhilfe hat sie das Gefühl, in Fächern wie Mathematik viel mehr zu verstehen.
„Ich habe seit ungefähr einem Jahr Nachhilfe – meistens mit derselben Lernpatin, sie heißt Jenny. Mit ihr treffe ich mich nach der Schule und gehe meine Hausaufgaben durch, lerne für Klassenarbeiten oder erledige Aufgaben, die mir schwerfallen. Zum Beispiel das schriftliche Dividieren, damit hatte ich am Anfang Probleme. In der Nachhilfe hat es mir meine Lernpatin so gut erklärt, dass ich es endlich verstanden habe. Mittlerweile ist Mathe mein Lieblingsfach! Später will ich mal Altenpflegerin werden, so wie meine Oma. Damit das klappt, will ich auch gut in der Schule sein. Und ich habe das Gefühl, dass es durch die Nachhilfe schon besser wird. Wir lernen aber nicht nur miteinander, sondern spielen auch mal Spiele wie ‚Mensch ärgere dich –nicht!‘. Das macht mir ehrlich gesagt auch am meisten Spaß. Es fühlt sich also nicht wie Unterricht an, sondern so, als würde ich eine schöne Zeit mit einer Freundin verbringen.“
„Es fühlt sich an wie Familie, die Lernpatin ist wie eine große Schwester für mich“

Aaron, 10, aus der Klasse 4a der Gemeinschaftsgrundschule Brückenstraße in Duisburg möchte mal Fußballprofi werden. Sein Lieblingsfach ist Sport, aber in Mathematik freut er sich über die Nachhilfe mit seiner Lernpatin.
Die Hochfelder Lernpaten
Die „Hochfelder Lernpaten“ sind ein Projekt der Organisation Urbanen Zukunft Ruhr, die mit den Menschen in Duisburg-Hochfeld Projekte und Vorhaben entwickelt, um die Lebensqualität der Menschen vor Ort zu verbessern. Die Projekte sind übertragbar auf andere Städte und Stadtteile. Das Lernpatenprojekt wird umgesetzt als Kooperation zwischen dem Mercator-Gymnasium aus Duisburg-Mitte und der Gemeinschaftsgrundschule (GGS) Brückenstraße in Duisburg-Hochfeld, einem Stadtteil mit besonderem Handlungsbedarf. Es verfolgt das Ziel, Bildungsungleichheiten zu verringern und die soziale Entwicklung der Schülerinnen und Schüler zu fördern. Die Lernpatinnen und Lernpaten im Alter ab 15 Jahren gehen in die 9. Klasse oder in die Oberstufe und unterstützen Grundschulkinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren. Das spendenbasierte Projekt wird von der UZR gGmbH (Urbane Zukunft Ruhr) geplant und durchgeführt.