Jugendhilfe an Schulen

Ein Fall für alle

Im Rahmen des „JanS“-Projektes kommen in Solingen Fachkräfte aus dem Sozialraum zusammen, um Lösungen für einzelne Kinder und ihre Familien zu finden.

„Wir sprechen heute über einen 9-jährigen Jungen“, sagt Nadja Mahmoudi, die sich zu Beginn der Fallkonferenz als Klassenlehrerin an der Städtischen Grundschule Klauberg vorstellt. Die Schule gehört mit Schulsozialindex 8 zu den sehr belasteten Schulen in NRW. Sie erzählt, das Kind habe den Förder­schwerpunkt „Lernen“ und mache derzeit große Rück­schritte. Dass A. (der Name des Kindes wird nicht genannt, Anm. d. Red.) keine Hausauf­gaben mache und im Offenen Ganztag einen erhöhten Förderbedarf zeige. Für die Geschwister sei das Leistungsniveau der Schule ebenfalls eine Heraus­forderung. „Alle fehlen häufig oder erscheinen mit deutlicher Verspätung im Unterricht“, erwähnt die Lehrerin noch. Auch, dass der Vater noch nie an der Schule gesehen worden sei und die Mutter überfordert wirke.

Alles hängt an der Elternarbeit

Auf dem Zoom-Bildschirm ist Nadja Mahmoudi nur klein zu sehen. Sie ist eine von insgesamt acht Teilnehmer­innen und Teilnehmern dieser Online-Konferenz. Ihr echtes Interesse an dem Kind, ihre Warmherzigkeit, sind dennoch spürbar. „Unser Hauptproblem ist die Kommuni­kation mit den Eltern. Die Mutter will die Probleme nicht wahr­haben, sie reagiert teilweise nicht auf Nachrich­ten und zeigt sich inzwischen sogar genervt, wenn sie um ein Gespräch gebeten wird“, be­schreibt sie sichtlich betroffen die schwierige Situation. „Wir müssen ihr Vertrauen in die Schule gewinnen“, schließt sie ihre einleitenden Worte.

Jetzt sind ihre Teamkolleginnen und -kollegen dran. Sie berichten, wie sie den Schüler erleben. Die zuständige Sonder­pädagogin Farina Prüßner kommt zu Wort. Der Mitarbeiter aus dem Offenen Ganztag, Ali Akdemir. Und Schulsozialarbeiter Björn Behl, der den Jungen regelmäßig in den so ge­nannten Trainingsraum einlädt, um gemeinsam an Konflikten zu arbeiten. Die Schule – das wird deutlich – hat schon viel unternommen, um dem Kind zu helfen. Doch jetzt braucht es Input von außen.

Neben der schulischen Leistung haben viele Mädchen und Jungen an Schulen im Brennpunkt auch anderen Förderbedarf. Besonders auffällige Fälle werden in den JanS-Konferenzen diskutiert. Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Katharina Werle

Der Sozialraum unterstützt die Schule

Genau dafür ist die heutige Veranstal­tung gedacht. Im Rahmen des Pilot­projekts „Jugend­hilfe an Schulen“, kurz JanS, findet das zweistündige Format nach Absprache mit der Schule ent­weder in Präsenz und online statt. Es wird monatlich an Schulen in vier Solinger Bezirken durchgeführt. Allein im Bezirk Mitte ist das Konzept an fünf Schulen etabliert. „Das Ziel ist, Kinder und Familien niedrigschwellig und präventiv zu unterstützen“, erklärt Miriam Kielholz, die beim Jugendamt als JanS-Fachkraft beschäftigt ist. 2019 hat die Solinger Jugendhilfe das Pilotprojekt in der Stadt bei Düsseldorf gestartet und an die Schulen heran­getragen. Neben der Stelle der JanS-Fachkraft finanziert die Stadt für diese Arbeit pro Bezirk eine halbe Vollzeit­stelle in der Schulpsychologie.

Die Fälle, die die jeweiligen Schul­leitungen, Lehrkräfte und weitere Mitarbeitende der Schule vorab auswählen, werden in den JanS-Konferenzen anonym besprochen, so dass es keiner Schweigepflicht­entbindung durch die Sorgeberechtigen bedarf. Neben Vertreter­innen und Vertretern aus dem Schulteam nehmen Fachkräfte von Einrichtungen aus dem Sozialraum teil (siehe auch Schaubild): Im Falle des Jungen A. unter anderem ein Mit­arbeiter des Diakonischen Werks, das in der Schule Angebote für Kinder und Eltern macht. Eine Schul­psychologin von den Psychologischen Diensten des Coppelstifts der Stadt. Sowie Miriam Kielholz, die die Sitzung moderiert und protokolliert sowie niederschwellig berät.

Lehrkräfte berichten, dass die Elternarbeit in sozialen Brennpunkten herausfordernd ist. Das JanS-Projekt setzt auch hier an. Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Vera Loitzsch

Hypothesen für einen Perspektivwechsel

Das Schulteam hat den Fall A. also vor­gestellt, seine Erfahrungen im Umgang mit dem Jungen und seiner Familie geteilt. Jetzt nutzen die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der JanS-Konferenz die Gelegenheit, Rück­fragen zu stellen. „Hat der Junge Freundschaften in der Schule?“ „Wie häufig fehlt er im Unterricht?“ „Welche Verhaltensauffälligkeiten zeigt er genau?“ „Wie verbringt der Junge seine Freizeit?“ Oder auch: „Ist der Vater über­haupt sorge­berechtigt?“ Sie äußern Hypothesen dafür, warum die Situation so ist, wie sie beschrieben wird. Eine davon: Zuhause erlebe der Junge wie in der Schule, dass Er­wachsene aus Zeitnot nur auf Störungen reagieren. Das erlaubt den Kolleginnen und Kollegen der Schule, die Gemengelage aus anderen Per­spektiven zu betrachten. Auf dieser Basis entwickeln alle gemeinsam mögliche Handlungs­schritte und Lösungen.

Die Klassenlehrerin Nadja Mahmoudi wird behutsam versuchen, beide Elternteile gemein­sam mit dem Mitarbeiter aus dem Offenen Ganztag an einen Tisch zu bekommen. Die Psychologin der Schul­psychologie wird im Schulalltag hospi­tieren, um den Eltern an­schließend von ihren Ein­schätzungen zu berich­ten. Dadurch soll auch die Hemmschwelle der Eltern sinken, Angebote des Coppelstifts in Anspruch zu nehmen. In einer Familien­beratung könnten sie zum Beispiel nach Möglichkeiten suchen, wie der Vater die Mutter besser unter­stützen kann. Der Mitarbeiter der Diakonie und die JanS-Fachkraft werden den Jungen darüber hinaus in die „Starke-Kinder-AG“ einladen, eine wöchentlich statt­findende schul­interne soziale Gruppe, die sie gemeinsam begleiten.

Gewinnen will man die Familie mit dem Argument, dass ihr Kind so Zeit für sich bekommt, Positives erleben kann. Falls die Eltern die Vorschläge abblocken, werden sich die Fachkräfte kurzfristig noch einmal zusammensetzen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Zudem wird der JanS-Fall in einer terminierten Wieder­vorlage erneut besprochen.

In den Fallkonferenzen kommen Fachkräfte verschiedener Felder zusammen und kombinieren ihre Kompetenzen, um gemeinsam lösungsorientierte Ansätze zu finden. Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda

Vernetzung im Sozialraum als großes Plus

Die JanS-Konferenzen stärken nicht nur die Kinder und ihre Familien, sondern auch die Zusammen­arbeit von zwei unter­schiedlichen Systemen und ihren Ressourcen: „Die Jugendhilfe berät die Familien in erster Linie aus sozial­pädagogischer Sicht, während Schulen den Kindern mit dem Fokus auf die Wissensvermittlung eine alltägliche Lebenswelt und vielfältige Begeg­nungsangebote bieten“, betont JanS-Fachkraft Miriam Kielholz. Durch den regelmäßigen intensiven Austausch könnten beide Seiten voneinander profitieren, auf die Netzwerke der anderen zugreifen und ein besseres Verständnis voneinander bekommen.

Jedem Stadtteil wird ein Budget von 25.000 Euro für die Zusammenarbeit mit Wohlfahrtsverbänden zur Verfü­gung gestellt, um die Vernetzung im Sozialraum zu fördern. Oft entstehen neue Ideen und Kooperationen: Im Falle der Städtischen Grundschule Klauberg etwa die Starke-Kinder-AG, angeboten durch die Fachkräfte von JanS und Wohlfahrtsverband. Oder ein engerer Austausch zwischen der Schul­leitung und den Psycho­logischen Diensten der Stadt. Auch das dient dem Wohle der Kinder – und zwar nicht erst dann, wenn größere Probleme zu bewältigen sind.

Übersicht: Mögliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Fallkonferenz

JanS
JanS-Fachkraft, angestellt beim Jugendamt:

koordiniert die Konferenzen in ihrem Bezirk, moderiert und protokolliert die Konferenzen, berät die Familien niederschwellig und schafft Überleitungen beispielsweise zu weiteren Beratungsstellen. Macht aber auch Angebote wie ein Sozialkompetenztraining an einer Schule. An der Städtischen Grundschule Klauberg etwa
gemeinsam mit dem Wohlfahrtsverband.

ASD
Fachkraft des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD):

nimmt an Konferenzen teil, ist zuständig für die Fallarbeit im Jugendamt.

Schul­psycho­logie
Fachkraft Schulpsychologie:

ist bei den psychologischen Diensten der Stadt Solingen (Coppelstift), einer städtischen Beratungsstelle, angestellt. Nimmt an den Konferenzen teil, bietet Beratungen und Hospitationen an.

Wohlfahrts­verbände
Fachkraft Wohlfahrtsverbände:

nimmt an den Konferenzen teil, macht auch Angebote für Eltern und Kinder in der Schule, z.B. Gespräche oder Sozialkompenztrainings, an der Klaubergschule gemeinsam mit der JanS-Fachkraft.

Schul­sozial­arbeit
Fachkraft Schulsozialarbeit:

angestellt beim Land, der Kommune oder bei freien Trägern, steht in engem Austausch mit der Schulleitung, unterstützt Kinder bei Bedarf in einem sogenannten Trainingsraum bei der Konfliktbewältigung.

Lehrkräfte
Lehrkräfte:

können an Fallkonferenzen teilnehmen und Beratungsbedarf anmelden.

Schulleitung
Schulleitung:

wählt in Abstimmung mit den schulischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus, welches Kind von einer JanS-Konferenz profitiert. Unterstützt bei der Einleitung notwendiger Maßnahmen, steht in engem Kontakt mit dem Schulsozialarbeiter.

Offener Ganztag
Fachkräfte Offener Ganztag:

können an Fallkonferenzen teilnehmen und Beratungsbedarf anmelden.

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