Demokratiebildung

„Demokratie muss durch Projekte und offene Gesprächs­formate erlebbar werden“

Ob im Unterricht oder durch AGs: Demokratie­bildung kann überall verankert werden, findet Schulleiter Christian Bornhalm. Hier erklärt er, wie er sich dem Thema genähert hat.

Herr Bornhalm, wer durch Ihr Schul­gebäude geht, merkt schnell: Demokratie wird hier groß­geschrieben. Welches ist das neueste Beispiel?

Christian Bornhalm: Die vielen Kunst­werke im Schulhaus. Sie sind die Er­gebnisse einer Projektwoche, in der Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit einer Künst­lerin Tape-Art gestaltet haben. Sie über­trugen ver­schiedene Skelett­motive auf Holzplatten – als Symbol dafür, dass wir alle im Inneren gleich sind, unabhängig von Herkunft oder Aussehen. Diese Kunst­werke erinnern uns täglich daran, was uns verbindet. Wir behandeln Demokratie nicht nur im Unterricht, sondern leben sie auch auf kreative Weise aus.
Skelettmotive auf Holzplatten, entstanden im Rahmen einer Projektwoche. Sie symbolisieren: Wir sind im Inneren alle gleich!

Wie sind Sie dazu gekommen, die Demokratiebildung an Ihrer Schule zu fördern?

Bornhalm: Angefangen hat alles mit dem Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, in dem wir seit sieben Jahren aktiv sind. Denn Rassis­mus ist eine große Gefahr für unsere Demokratie und findet auch an Schulen statt. Wirklich Fahrt aufgenommen hat das Thema aber vor etwa zweieinhalb Jahren, als einige Jugendliche auch aus eigener Betroffenheit eine Gruppe gegen Rassismus gründeten. Sie bieten heute Peer-to-Peer-Sprechstunden an, was uns sehr dabei hilft, ohne große Bürokratie ins Gespräch zu kommen.

Jugendliche der Schule haben eine Gruppe gegen Rassismus gegründet. Das Team bietet Peer-to-Peer-Sprechstunden an.

Wie ging es dann weiter?

Bornhalm: Mithilfe von Mitteln aus dem Startchancen-Programm haben sechs unserer Lehrerinnen und Lehrer eine Weiterbildung zur Beratungslehrkraft absolviert. Unsere Schülerinnen und Schüler können bei Bedarf anonym mit ihnen sprechen, dafür steht den Lehr­kräften je eine Ermäßigungsstunde pro Woche zur Verfügung. Zusätzlich ko­operieren wir mit Ehrenamtlichen aus der Landeshauptstadt Kiel – unter anderem mit einem Verein für Aus­steigerinnen und Aus­steiger aus der Neonazi-Szene, dessen Mitglieder zu uns in die Schule kommen. Außerdem haben wir gemeinsam Handlungs­leitfäden entwickelt, damit unsere Lehrkräfte etwa bei diskriminierenden Vorfällen genau wissen, wie damit umzu­gehen ist. Bei alledem stehen uns unsere beiden erfahrenen Schulsozial­arbeiterinnen im Alltag immer zur Seite. Es sind also alle mit im Boot.
Schulleiter Christian Bornhalm: „Wir sehen uns in der Pflicht, an unserer Schule eine Basis für eine gemeinsame Vorstellung von Demokratie zu schaffen.“

Warum ist Ihnen dieses gemein­same Demokratie­verständnis so wichtig?

Bornhalm: Wir haben an unserer Schule Jugendliche mit ganz unter­schiedlichen Lern- und Lebenser­fahrungen. Viele kom­men aus Ländern ohne demo­kratische Struk­turen. Deshalb setzen wir auf nieder­schwellige Angebote, zum Beispiel mit dem Klassenrat. Durch ihn lernen die Mädchen und Jungen früh, ihre Anlie­gen zu formulieren, zuzuhören und gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Wir sehen uns in der Pflicht, an unserer Schule eine Basis für eine gemeinsame Vorstellung von Demo­kratie zu schaffen.

Letztes Jahr war Superwahl­jahr, und einige Schulen wur­den dafür kritisiert, die AfD zu Podiums­diskussionen einge­laden zu haben – eine Partei, die in Teilen als ge­sichert rechtsextrem und damit als demokratiefeindlich gilt. Wie stehen Sie dazu?

Bornhalm: Wir sind bislang nicht in die Situation gekommen, und ich persön­lich würde es vermutlich ablehnen. Ich würde mich in solch einem Fall eng mit den Expertinnen und Experten aus dem Ministerium abstimmen.

Die AfD hat mit fast elf Prozent der Stimmen auch in Kiel ordent­lich zugelegt.

Bornhalm: Zu einem vergleichbaren Ergebnis kamen auch wir bei unserer Juniorwahl, die wir im Vorfeld der Bundestagswahl 2024 mit echten, aber ungültig gemachten Stimm­zetteln durchgeführt haben.

„Das Ergebnis unserer Schulwahl war ein guter Aufhänger für unser großes Anliegen, die Demokratiebildung.“

Wie sind Sie damit umgegangen?

Bornhalm: Wir haben mit unseren Schülerinnen und Schülern gesprochen und dabei er­fahren, dass einige von ihnen damit Politikerinnen und Poli­tikern wie Olaf Scholz oder Angela Merkel, die lange Zeit in der Verant­wortung waren, einen Denkzettel ver­passen wollten. Wir haben darüber ge­sprochen, was es bedeutet, wenn wir durch Protestwahl Parteien zu Macht verhelfen, die demokratische Struk­turen abschaffen möchten. Insofern war das Ergebnis unserer Schulwahl ein guter Aufhänger für unser großes Anliegen, die Demokratiebildung.

Wie sichern Sie dieses ge­meinsame Verständnis im Alltag ab?

Bornhalm: Ein wichtiges Instrument ist unser Schul-Kodex. Er enthält klare Aussagen gegen Gewalt – ob physisch, psychisch oder verbal – und gegen demokratiefeindliches Verhalten. Alle Schülerinnen und Schüler unter­schreiben ihn bei der Einschulung. Natürlich ist das kein rechtsverbind­licher Vertrag, aber ein symbolisches Versprechen, und sollte es zu Pro­blemen kommen, erinnern wir an diese Vereinbarung. Das funktioniert nicht durch Druck, sondern durch Vertrauen.

Wie oft greifen Sie im Alltag auf diesen Kodex zurück?

Bornhalm: Bei rund 500 Schülerinnen und Schülern betrifft das vielleicht zehn bis 20 regelmäßig. Also keine große Zahl, aber wichtig genug, um zu zeigen: Wir leben diesen Kodex nicht nur auf dem Papier.

Nun haben die Kinder und Jugendlichen auch ein Leben neben der Schule. Wie wichtig ist es, die Eltern ins Boot zu holen?

Bornhalm: Das ist tatsächlich ein span­nungsreiches Feld. Viele Erwachsene haben Erfahrungen mit autoritären oder unterdrückenden Regimen gemacht. Man­che sind traumatisiert von Aus­grenzung oder Verfolgung und müssen erst einmal lernen, mit der Offenheit und Freiheit in unserer Gesellschaft umzugehen. Andere fordern schnell Rechte ein, wie etwa ein iPad für ihre Kinder, und zeigen gleichzeitig wenig Bereitschaft, sich selbst auf Regeln einzulassen. Unsere Aufgabe ist es, den Eltern zu zeigen, dass Mitgestaltung mög­lich ist und gleichzeitig die Über­nahme von Verantwortung bedeutet.

An der Klaus-Groth-Gemein­schafts­schule gibt es einen Kodex, der klare Aussagen gegen Gewalt enthält. Alle Schüle­rinnen und Schüler unter­schrei­ben ihn bei der Ein­schulung.
Bei Schüler-Eltern-Lehrer-Gesprächen können die Schülerinnen und Schüler von ihren Stärken berichten. Ihre Eltern werden so in demo­kratische Prozesse eingebunden.

Können die Eltern dann von ihren Kindern lernen?

Bornhalm: In jedem Fall. Seit etwa sieben Jahren gibt es bei uns zweimal im Schuljahr Schüler-Eltern-Lehrer-Gespräche, bei denen die Kinder die Eltern mit einer selbst gestal­teten Einladungskarte auffordern, in die Schule zu kommen. Die Kinder suchen ihr Ge­sprächsthema selbstständig aus: Sie erzählen vielleicht von einer AG oder einem anderen Erfolgs­erlebnis. Vielen Eltern fällt es schwer, sich auf dieses Setting einzulassen, diese Wohlfühl­dusche. Aber sie hören zu, und es kommt sogar vor, dass sie vor Rührung und Freude weinen. Besonders dann, wenn ihre Kinder als schwierig gelten. Jede und jeder hat etwas, das sie oder er gut kann. Das zu erleben und vorzu­tragen hilft den Kindern dabei, sich als gleichwertiges Mitglied unserer Gesell­schaft zu sehen, das eine Stimme hat.

„Mehr Unterstützung durch die Politik“, das wünscht sich Christian Bornhalm für seine Schule. Denn sich in Demokratiefragen engagieren wollen nach seinen Aussagen viele.

Was raten Sie anderen Schulen, die sich verstärkt der Demokratie­bildung widmen möchten?

Bornhalm: Mein erster Tipp lautet: Schauen Sie genau hin, welche Partner­schaften Sie eingehen können. Zu­sammenschlüsse mit Netzwerken können echte Game­changer sein. Nach jedem dieser Treffen kehre ich in­spiriert zurück und werde angestupst, Dinge zu hinter­fragen oder weiter­zuentwickeln. Daneben hilft es sehr, sich von anderen Schulen abzu­schauen, wie sie Demo­kratie leben. Genauso wichtig ist es dann aber in der Folge, eigene Konzepte und Ansätze zu ent­wickeln. Zu guter Letzt muss Demo­kratie durch Projekte und offene Ge­sprächsformate erlebbar werden.
Das alles kostet Zeit, Vertrauen und finanzielle Mittel, die aus dem regu­lären Schulbudget meist nicht abge­deckt werden können. Von der Politik wünsche ich mir deshalb mehr strukturelle Unter­stützung. Es lohnt sich: Viele Lehrkräfte und Jugendliche wollen sich in Demo­kratiefragen enga­gieren. Man muss sie nur lassen.
Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Kaja Grope

Christian Bornhalm ist Schulleiter der Klaus-Groth-Gemeinschafts­schule mit Grundschule in Kiel. Die Demokratie­förderung ist ihm ein besonderes Anliegen.

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