Herr Haack, Unterrichtsinhalte und -materialien unterliegen einem gewissen Standard. Wie kommen Sie damit an Ihrer Theodor-Storm-Gemeinschaftsschule zurecht?
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Carsten Haack: Als Schule im Brennpunkt sind wir in der Situation, dass 85 Prozent unserer Kinder zu Hause kein Deutsch sprechen, sie hinken bei ihrer schulischen Leistung allen anderen Vergleichsgruppen hinterher. Mit klassischen Lehrmaterialien kommen wir schnell an unsere Grenzen, sie sind für unsere Kinder schlicht zu schwer. Teilweise bilden sie auch nicht das ab, was unsere Schülerinnen und Schüler aus ihrer Lebenswelt kennen. Wenn in Aufgabenstellungen etwa die Rede ist vom Jahrmarktbesuch mit den Großeltern, können sich das viele unserer Kinder gar nicht vorstellen – sie erleben derartige Ausflüge ja nicht. Wenn man immer nur Frusterlebnisse erzeugt mit Schulbüchern, die nicht das hergeben, was wir benötigen, ist das für alle demotivierend. So sind wir auf die Idee gekommen, selbst Materialien zu erstellen, die so differenziert ausgearbeitet sind, dass sie unserem Anforderungsniveau entsprechen.
Wie gehen Sie da vor?
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Haack: In Fachkonferenzen oder während der Vorbereitungszeit für den Unterricht schneiden wir die Lehrmaterialien genau auf die vorhandenen Kompetenzen unserer Schülerinnen und Schüler zu. Das ist ein hoch individualisierter Prozess, der von Fach zu Fach und Klasse zu Klasse unterschiedlich ist. Damit die Materialien sich besser für unsere Kinder eignen, verwenden wir zum Beispiel leichte Sprache oder verändern beim Mathematikunterricht die Zahlen, um die Aufgaben einfacher zu machen. Wir konzipieren die Materialien also nicht immer neu, sondern lassen einfach weg, was nicht passt. Die Texte und Aufgaben müssen verständlich sein und das wiedergeben, was die Kinder kennen, erlebt haben oder sich vorstellen können.
„Die Texte und Aufgaben müssen verständlich sein und das wiedergeben, was die Kinder kennen, erlebt haben oder sich vorstellen können.“
Carsten Haack, Schulleiter der Theodor-Storm-Gemeinschaftsschule in Kiel
Wie wirksam sind diese eigenen Lösungen – und wie schaffen Sie diese zusätzliche Arbeit?
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Haack: Alternative Lehrmaterialien sind eine Art Krücke, die es unseren Lehrkräften ermöglicht, Kompetenzen besser zu vermitteln. Das klappt aber nicht immer: Auch mit noch so einfachen Materialien sind uns oft Grenzen gesetzt. Die Situation belastet uns insgesamt: Eigenen Unterrichtsstoff zu entwickeln bedeutet für uns ein ungeheures Maß an zusätzlicher Arbeit. Da sind wir teilweise überfordert und würden uns wünschen, dass im Zusammenwirken aus Wissenschaft, Bildungsverwaltung und Schule alternative Materialien konzipiert und den Schulen zur Verfügung gestellt werden. Stellen Sie sich vor, wie viele Ressourcen das aufseiten der Schulen einsparen würde. Die Frage nach passenden Unterrichtsmaterialien für die Kinder an Schulen im Brennpunkt stellen sich ja sehr viele dieser Schulen.
Carsten Haack leitet seit 2003 die Theodor-Storm-Gemeinschaftsschule in Kiel. Mit klassischen Lehrmaterialien kommen er und sein Team oft nicht ans Ziel, daher entwickelt die Schule eigene Materialien, angepasst an die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler.
Eine Antwort
Nicht passende Lehrwerke und Lehrpläne? Was ist Eure Erfahrung?