Schulqualität

Was macht eine gute Schule aus?

Unsichtbare Erfolge: Mehr und präzisere Daten würden zutage fördern, wie viel Schulen im Brennpunkt tagtäglich leisten. Ein Gastbeitrag.

„Qualität der Schulen verschlechtert sich weiter“, „Schulqualität nimmt weiter ab“ – das sind nur zwei der Überschriften aus der Vorabbericht­erstattung zum Bildungsmonitor 2025, der am heutigen Dienstag offiziell ver­öffentlicht wird. Im Auftrag der Initia­tive Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) ermittelt das Institut der deut­schen Wirtschaft (IW) in Köln an­hand einer Vielzahl von Bildungsdaten und Statistiken jedes Jahr unter anderem ein Länder-Ranking. Ob Bildungsmonitor, IQB-Bildungstrend oder internationale Bildungs­vergleiche: Regelmäßig werden Untersuchungen zu den Leistungen von Schülerinnen und Schülern negativ betitelt. Ein etwas älteres Beispiel: „PISA-Studie – Deshalb sind Deutschlands Schulen so schlecht“.

Schlechte Schülerleistungen = schlech­te Schulen, diese Gleichung scheint simpel, und sie kann stimmen. Oder komplett in die Irre führen. Häufig wis­sen wir es nämlich gar nicht! Richtig ist, dass das Leistungsniveau von Schüler­innen und Schülern in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren in den meisten Kompetenzbereichen gesunken ist. Dies weisen seit Jahren nicht nur der Bildungsmonitor, sondern vor allem der IQB-Bildungstrend, auf dessen Primärergebnisse sich das IW zu einem guten Stück stützt, nach. Doch sind daran die Schulen schuld? Sind die Schulen schlecht(er)?

Das Leistungsniveau von Schülerinnen und Schülern in Deutschland ist in den vergangenen zehn Jahren in den meisten Kompetenzbereichen gesunken. Die Schulen seien daran aber nicht schuld, so Markus Warnke. © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda
Gleicher Stoff, gleiche Lernziele: Alle Schülerinnen und Schüler sollen die gleichen Bildungschancen haben – doch die Voraussetzungen für gelingendes Lernen sind sehr unterschiedlich. © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda

Veränderte Startbedingungen verzerren die Ergebnisse

Grundsätzlich ist eine regelmäßige, auch flächendeckende Erhebung der Leistungen von Schülerinnen und Schülern wichtig und richtig. Die von den Ländern beschlos­senen und am IQB weiterentwickelten Bildungsstan­dards bieten eine besonders gute Grundlage für solche Erhebungen, denn sie definieren faktische Messlatten, um Stärken und Schwächen der Schüler­innen und Schüler in Deutschland abzu­bilden.

Dabei sind jedoch auch die deutlich veränderten Bedingungen an den Schulen zu berücksichtigen, die in den vergang­enen Jahren wesentlich an­spruchsvoller geworden sind. Zu nennen sind der starke Zuzug nach Deutschland seit dem Jahr 2015 mit einer weiteren Spitze zu Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine. Hinzu kommen die wesentlich stärkere Nutzung von sozialen Medien durch Kinder und Jugendliche, die immer noch spür­baren Nachwirkungen der Corona-Pandemie etwa auf die mentale Ge­sund­heit, die Zunahme von diagnosti­zierten Förder­bedarfen sowie die sich wandelnde Rolle und Erwartungs­haltung von Eltern. All dies sind Themen, die den Schulalltag heute prägen. Und es gibt Schulen, an denen sich besonders viele dieser Heraus­forderungen konzentrieren.

Die Bil­dungsstandards und die Lehrpläne in den Bundesländern gehen von Start­voraus­set­zungen aus, die viele Kinder so nicht beziehungsweise nicht mehr mitbringen. Das macht die Lernziele nicht falsch, aber für die Kinder je nach ihrer Ausgangslage unterschied­lich schwer erreichbar.

Vom Seepferdchen zum Freischwimmer

Vergleichen wir die Schule mit dem Schwimmunterricht und setzen wir das Ziel, am Ende der Grund­schulzeit das Bronze-Abzeichen zu erlangen, den Freischwimmer. Dabei wird an­genom­men, dass die Kinder aus dem Kinder­garten bereits das Seepferdchen in die Grund­schule mitbringen. In Wirklichkeit aber gibt es Kinder, die dieses Abzei­chen noch nicht haben, die noch nie in einem Schwimmbad waren oder sogar mit einem Rucksack von Traumata ins Wasser müssen, etwa nach einer Flucht über das Meer.

An allen Schulen überall am Land steigt die Zahl der Kinder mit sehr unter­schiedlichen Startvoraus­setzungen, die alle ins gleiche Becken geschubst werden. Deshalb sollten wir nicht am Ziel, hier dem Freischwimmer, rütteln oder es abschaffen. Wir müssen jedoch darüber nachdenken, wie wir den Schwimmunterricht so organisieren können, damit alle Kinder ihn schaffen können.

Um das Bild des Schwimmunterrichts wieder zu verlassen: Alle Kinder be­suchen den gleichen Mathe- oder Deutschunterricht. Alle sollen dieselben Lernziele erreichen, und das ist richtig so, denn alle Kinder haben dasselbe Grundrecht auf Bildung. Aber zu diesem Grundrecht gehört, dass wir Bildung so gestalten, dass alle Kinder mitkommen können.

Die Schule allein war und ist damit überfordert, ausschlaggebend ist dabei die Rolle der Eltern. Doch so sehr wir deshalb über Wege und Methoden nachdenken müssen, um alle Familien stärker einzubinden und in die Pflicht zu nehmen, am Ende ist auch klar: Viele Eltern werden ihren Kindern bei schu­lischen Dingen nie so effektiv helfen können wie andere. Also gilt: Auch wenn Schulen allein nicht das Leistungs­niveau heben können, haben sie dennoch einen entscheidenden Einfluss.

An einigen Schulen lernen besonders viele Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch benach­teiligten Familien mit schwierigen Ausgangs­bedingungen lernen. Sie starten nicht bei null, sondern eher bei minus fünf. Dass die Schulen bei Vergleichsstudien und -tests dann regelmäßig schlecht abschneiden, ist für sie nicht nur klar, sondern auch frustrierend. Die un­gleichen Startbedingungen der Kinder und die unzureichenden Möglichkeiten er­schweren es den Schulen, auf die Unterschiedlichkeit der Kinder und Jugendlichen einzugehen und sie zum vorgegebenen Lernziel zu führen.

„Die ungleichen Startbedingungen der Kinder und die unzureichenden Möglichkeiten erschweren es den Schulen, auf die Unterschiedlichkeit der Kinder und Jugendlichen einzugehen und sie zum vorgegebenen Lernziel zu führen.“

Diese Heterogenität wird von den Lehrplänen und der Personalausstat­tung der Schulen immer noch zu wenig berücksichtigt. Immerhin gibt es mit dem Startchancen-Programm nun einen gemeinsamen Ansatz von Bund und Ländern, um auf die besondere Be­darfslage gerade dieser Schulen zu reagieren. Es löst natürlich nicht alle Probleme, kann aber dabei helfen, die besondere Bedarfslage dieser Schulen zu identifizieren und über Jahre hinweg gezielte Unterstützung zu organisieren.

Daten sind die Basis für gezielte Förderung und Weiterentwicklung

Dazu ist ein besseres Wissen darüber notwendig, ob der Unterricht und die schulischen Lerngelegen­heiten positiv auf das Lernen und die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler wirken. Das gilt übrigens für alle Schulen. Wo­bei eine gute Schule dann diejenige wäre, die den größten Leistungs­zu­wachs bei ihren Schülerinnen und Schülern erreicht und wo die Kinder am meisten dazulernen – unabhängig von ihrer Herkunft.

In Deutschland fehlt jedoch bis heute eine flächendeckende Diagnostik im frühkindlichen Bereich ebenso wie eine systematische Erfassung der indivi­duellen Lernverläufe. Gäbe es sie, würden die Unterschiede zu Beginn und die Entwicklungen im Laufe der Bildungsbio­grafie deutlich. Dann würden endlich auch die relativen Lernerfolge sichtbar. Gerne würden gerade die Schulen im Brennpunkt zeigen, was sie bewirken. Die bis­herigen Lernstands­erhebungen und die prominenten Schulleistungsstudien können das in der Regel nicht abbilden.

Eine aktuelle Befragung der Wübben Stiftung Bildung, an der 226 Schul­leitungen an Schulen im Brenn­punkt aus vier Bundesländern teilgenommen haben, zeigt, dass über 80 Prozent der Befragten mo­tiviert sind, mit Daten Unterricht und Schule weiterzu­entwickeln. Dazu braucht es aus meiner Sicht gute Diagnoseinstrumente, eine kontinuierliche Erfas­sung von Bildungs­verläufen und idealerweise eine Bildungs-ID, wie sie von der schwarz-roten Bundesregierung im notwendigen Benehmen mit den Ländern angekündigt wurde. Was die Datenlage von Bildungsverläufen der Schülerinnen und Schüler in Deutschland angeht, sind wir im internationalen Vergleich schlecht aufgestellt.

Auf einer soliden Datenlage könnten wir ziel­genauer schauen, an welchen Schulen unter welchen Bedingungen es besonders gut oder schlecht gelingt, Kinder und Ju­gendliche auf ihrem Bildungsweg zu unter­stützen. Und erst dann können wir die Unterstützung und Auf­merksamkeit an Schulen so orga­nisieren, dass sie den Bedarf decken und wirksames Lernen fördern. Gerade in Zeiten knapper Kassen ist das alles eigentlich schon längst nicht nur ein Gebot der Effektivität, sondern auch der Effizienz. So schaffen wir die Grundlage, für eine bessere Bildung in den nächsten zehn Jahren.

„Schlechte Schülerleistungen = schlechte Schulen“? So einfach ist die Gleichung eben nicht. Wer nur auf die absoluten Testergebnisse starrt, über­sieht die Start­bedingungen, die Herausforderungen und auch die Fortschritte, die viele Schulen tag­täglich unter schwierigen Umständen ermöglichen. Vielleicht wäre es an der Zeit für eine differenziertere Berichter­stattung und warum nicht auch einmal für eine wertschätzende Schlagzeile.

Schulen und ihre Schülerinnen und Schüler im Brennpunkt leisten trotz widriger Bedingungen enorm viel. Doch es fehlen die Daten, um diese guten Schulen sichtbar zu machen. © Wübben Stiftung Bildung/Frieda Schurig

Dieser Artikel wurde zuerst im Blog von Jan-Martin Wiarda am 9. September 2025 veröffentlicht.

Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda

Dr. Markus Warnke, ist seit 2013 Geschäftsführer der Wübben Stiftung Bildung. Zuvor war er im Kinder- und Jugendministerium von Nordrhein-Westfalen sowie als Bundesgeschäftsführer beim Familienbund der Katholiken in Berlin tätig.

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