Startchancen-Programm

„Uns hat das Startchancen-Programm einen neuen Schub in der Entwicklung gegeben“

Vor einem Jahr haben wir drei Schulleitungen gefragt, was sie vom Startchancen-Programm erwarten, welche Bedenken sie haben. Zeit für eine Bestandsanalyse.

Das ambitionierteste Bildungs­pro­gramm des Bundes­familien­ministeriums ist ein Jahr jung: Zahlreiche viel­versprechende Maß­nahmen wurden angestoßen, um gerechtere Bildungs­chancen an Schulen im Brennpunkt zu schaffen. Gleichzeitig steckt das Start­chancen-Programm gewissermaßen noch in den Kinderschuhen.

Kurzum: Es gibt viele positive Effekte – und noch einige To-dos. Hier erhoffen sich viele Schulleitungen, die weitere Entwicklung des Programms mit­gestalten zu können. Ver­gangenes Jahr haben wir drei Schulleitungen aus Kiel, Berlin und Köln gefragt, welche Hoffnungen sie mit dem Startchancen-Programm verbinden. Aber auch, welche Bedenken sie haben. Jetzt ziehen sie eine erste Bilanz.

Christiane Hartmann

„Ich möchte die Dinge mit Schub angehen, aber doch Schritt für Schritt.“

„Presseanfragen an mich, etwa von der taz und der SZ, zeigen mir: Man nimmt endlich wahr, dass Kinder unter sehr schwierigen Bedingungen lernen. Uns als Schule im Brennpunkt hat das Startchancen-Programm einen neuen Schub in der Entwicklung gegeben, weil wir – unterstützt von der Politik – den Fokus auf die wesentlichen Dinge legen können: Deutsch, Mathematik und das große Feld der emotional-sozialen Entwicklung.

Uns hilft es, wenn wir auf das Vor­wissen des Landes zurückgreifen zu können. In NRW zum Beispiel werden die wirksamen Fachoffensiven für Deutsch und Mathematik durch das Start­chancen-Programm zunehmend in den Unterricht getragen. Vor allem aber wollen wir als Schule mitgestalten. Das klappt gut: Für die zusätzliche Start­chancen-Stelle konnten wir zwischen drei ver­schiedenen Funktionen wählen. Wir besetzten die Stelle mit einer sozialpädagogischen Fachkraft in der Schul­eingangs­phase, da dies zu unserem Hauptziel, der Förderung der Vorläuferfähigkeiten, am besten passte. Im kommenden Jahr geht es darum, hier nachzuschärfen: Wie können wir entwicklungsverzögerte Kinder konkret und früh fördern? Die Einbindung der neuen Fachkraft ins Team fiel uns leicht, weil wir schon seit Jahren syste­matische Strukturen für die Arbeit im multi­professionellen Team geschaffen haben.

„Man nimmt endlich wahr, dass Kinder unter sehr schwie­rigen Bedingungen lernen.“

Wir nutzen die ersten Gelder für die Einrichtung eines weiteren Förder­raums. Dafür haben wir die Basis­ausstattung zusammengestellt, aktuell trudeln täglich Pakete mit Material ein. Um das Mobiliar zu beschaffen, müssen wir uns noch mit dem Schulträger einigen. Wir sind da ein bisschen ungeduldig, aber zuversichtlich. Leider wissen wir noch nicht, wie hoch die weiteren Jahres­budgets sind. Das behindert die Planungen.

In diesem Kontext hätten wir aus NRW folgende Fragen an die Politik:

  • Könnte man den Schulträger von seinem Eigenanteil befreien, damit wir als Schulen zum Beispiel unabhängiger von den Haushalten der Kommunen werden?
  • Ist es denkbar, dass neben dem Schulministerium auch andere Institutionen Ressourcen sozial­indiziert verteilen, wovon zum Beispiel die Nachmittags­betreuung in Schulen im Brennpunkt profitieren würde?

 

Eine Kritik sei noch erlaubt: Die Verwaltung des neuen Budgets ist leider nicht so niedrigschwellig angelegt wie bei dem Programm ‚Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche‘. Wir mussten für das Startchancen-Budget innerhalb kürzester Zeit zwei Schritte gehen:

  1. Die Kolleginnen und Kollegen sowie die Schülerinnen und Schüler mussten wir zum Stand der Dinge befragen: Warum haben wir die Ziele des Startchancen-Programms bisher nicht erreicht? Was benötigen wir zukünftig, um sie zu erreichen? Welche Vorhaben sind uns dabei besonders wichtig?
  2. Auf dieser Basis mussten wir die dafür notwendigen Materialien bestellen.

 

Neben dem – gerade an unseren besonderen Standorten sehr fordernden – Schulbetrieb verlangte die vergabe­rechtlich korrekte Handhabung einen sehr hohen Mehr­aufwand, und wir standen unter einem enorm hohen Zeitdruck. Wir hätten dieses Jahr lieber noch kein Geld ausgegeben oder ein Restbudget aufs kommende Jahr übertragen. Vielleicht hätte etwas mehr Vorlaufzeit allen beteiligten Stellen die Arbeit erleichtert.“

Foto: © James-Krüss-Grundschule
Christiane Hartmann ist Rektorin an der James-Krüss-Gemeinschafts­grundschule in Köln. Sie freut sich, dass Schulen im Brennpunkt durch das Startchancen-Programm deutlich mehr in den Fokus der Öffentlichkeit geraten sind.
Christian Bornhalm

„Die Politik muss verstehen, dass Existenzen am Startchancen-Programm hängen.“

Foto: © Kaja Grope

Christian Bornhalm leitet die Klaus-Groth-Gemein­schafts­schule mit Grundschule in Kiel. Er möchte, dass die Ressour­cen des Start­chancen-Pro­gramms noch gerechter verteilt werden.

„Im Kontext des Startchancen-Pro­gramms haben wir uns unterschiedliche Maßnahmen überlegt – sie wurden alle ohne Diskussionen genehmigt. So konnten wir im ver­gangenen Schuljahr unseren Schülerinnen und Schülern Sozialkompetenztrainings und eine Projektwoche etwa zu den Themen Kunst und Demokratiebildung anbieten. Wir haben das Programm aber auch dafür genutzt, uns zu vernetzen: Im Zuge einer Hospitationsreise waren wir in Startchancen-Schulen in NRW zu Gast. Auch stehen wir in regelmäßigem Austausch mit anderen Schulen in Kiel und sprechen über unsere Erfahrungen mit dem Programm.

Schon seit 2019 nehmen wir am PerspektivSchul-Programm von Schleswig-Holstein teil, das seit 2024 mit dem Startchancen-Programm zusammen­gedacht wird. Es heißt nun: ‚PerspektivSchule Kurs 2034. Das Start­chancen-Programm in SH‘. Die Struk­turen, die wir dafür über die Jahre aufgebaut hatten, können wir jetzt weiter nutzen. Deshalb haben sich die Verwaltungsabläufe bei uns schnell eingegroovt.

Echte Vorteile also, doch gleichzeitig gibt es Unklarheiten, die mich nervös machen: Das ursprüngliche Landes­programm war umfangreicher, uns sind also im Zuge dieser Zusammenlegung Mittel weggebrochen. Gleich­zeitig hatten wir Lehrkräfte und Sozial­pädagoginnen und -pädagogen eingestellt, die wir nicht allein über das Startchancen-Budget weiter­beschäftigen können. Das Land Schleswig-Holstein ist eingesprungen und finanziert zunächst befristet bis zum 31.07.2026 die Stellen. Darüber hinaus haben wir uns auch noch nicht mit dem Schul­träger darauf einigen können, ob wir Mittel für Neu- und Umbauten an unserer Schule ausgeben dürfen.

„Wir brauchen Impulse, wie wir die Wirksamkeit unserer Arbeit messen können.“

Meine Wünsche und Forderungen:

  • Es ist wichtig, dass wir als Schule mehr Mitspracherecht bekommen.
  • Wir brauchen Impulse, wie wir die Wirksamkeit unserer Arbeit messen können.
  • Und schließlich beschäftigt uns die Frage, ob Schulen mit höherem Sozialindex (und folglich mit höheren Bedarfen) anteilig mehr Unterstützung bekommen können.

Die Politik muss verstehen, dass Existenzen von Kindern und Personal am Startchancen-Programm hängen. Wenn man uns etwa aufgrund weltweiter politischer Ent­wicklungen längerfristig Mittel abziehen würde, hätte das fatale Auswirkungen auf das gesamte Schul­system. Konzepte würden wegbrechen, die wir über Jahre er­arbeitet haben. Ich fände es wichtig, dass die Politik die Startchancen-Schulen besucht, um dafür ein Gefühl zu bekommen.“

Doreen Eccarius

„Wir freuen uns, das Startchancen-Programm sukzessive an unserer Schule wirken zu lassen.“

„Wir sind ganz frisch seit dem 1. August 2025 Start­chancen-Schule – und sehen das zwiegespalten: Einer­seits ist es kein positives Aushängeschild, dass wir als Schule im Brennpunkt zusätzliche Unterstützung brauchen. Andererseits ist es eine Chance, unsere Schule weiterzuentwickeln, um die Kinder besser zu fördern. Uns stehen erste Gelder für Projekte, Maß­nahmen und Sachmittel zur freien Verfügung. Mithilfe des SPI-Programms des Berliner Senats können wir obendrein eine Vollzeitstelle schaffen, die unser Team der Schul­sozialarbeit unterstützen wird.

Das Startchancen-Programm in Berlin gibt vor, das Lese- und Matheband umzusetzen. Damit hatten wir, un­abhängig vom Programm, schon vorher begonnen. Jetzt können wir auf zusätzliches digital hinterlegtes Material zurückgreifen, das uns richtig gut gefällt. Wir gehen aber einen Schritt weiter: Wir wollen mit den Kindern nicht nur wie im Startchancen-Programm gefordert in Klasse 1 bis 4 an vier Tagen pro Woche für mindestens 20 Minuten lesen, sondern in allen sechs Jahr­gängen an fünf Tagen pro Woche. Welche Entwicklungsschritte die einzelnen Kinder machen, halten wir schon seit einigen Jahren mit einem von uns ent­wickelten Tool fest. So setzen wir die datenbasierte Förderung sinnvoll um.

Wir freuen uns, das Startchancen-Programm sukzessive an unserer Schule wirken zu lassen. Dabei können wir uns an den gegebenen Ideen entlang­hangeln, von Erfahrungen anderer Schulen profitieren. Gleich bei zwei Ver­anstaltungen haben wir von den zuständigen Stellen angeboten bekommen, uns bei Unterstützungs­bedarf an sie zu wenden. Unser großes Ziel: innerhalb von neun Jahren die Basiskompetenzen unserer Schüler­innen und Schüler so zu verbessern, dass sie die Mindest­standards in VERA 3 erreichen. Dazu gehört die Etablierung des Lese- und Mathe­bandes in allen Jahrgängen, die Verbesserung der Leseleistung und die Reduzierung herausfordernden Verhaltens im Unterricht.“

Foto: © Karolin Klüppel
Doreen Eccarius ist Schulleiterin an der Berliner Brodowin-Schule. Sie hofft, dass die Schüler­innen und Schüler mithilfe des Start­chancen-Pro­gramms die Mindest­standards erreichen.

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