Sozialindex

„Entscheidend ist, dass den Stufen im Index eine Zuweisung von Ressourcen folgt“

Zeichnen Sozialindizes ein realistisches Bild von Schulen im Brennpunkt? Wohl kaum. Aber sie können bewirken, dass diese Schulen besser unterstützt werden. Ein Gastbeitrag.

Schulen in herausfordernder, in prekärer oder benachteiligter Lage. Talent- oder Perspektivschulen. Schulen im Brennpunkt. Alle Versuche, die Schulen, die im Sommer ins Startchancen-Programm aufgenommen werden, treffend zu charakterisieren, einen allgemein gültigen Oberbegriff für sie zu finden, sind bisher gescheitert. Mit diesen Schulen verbinden viele Menschen Vorurteile, obwohl die Schulen im Brennpunkt häufig gute Schulen sind. Zwar weisen die Ergebnisse der Lernstandserhebungen in den Ländern (VERA) darauf hin, dass die Schülerleistungen an diesen Schulen schwächer ausfallen, aber was sagen diese und andere Leistungsstudien schon aus, wenn man die Zusammensetzung der Schülerschaft und das räumliche Umfeld der Schule nicht berücksichtigt? Es macht eben einen Unterschied, ob die Kinder zu zehn Prozent oder zu 90 Prozent aus sozioökonomisch benachteiligten Familien kommen.

Buntes Miteinander: „Es macht einen Unterschied, ob die Kinder zu zehn Prozent oder zu 90 Prozent aus ökonomisch benachteiligten Familien kommen”, so Dr. Markus Warnke.

Freude auf der einen, Not auf der anderen Seite

Die Schulen im Brennpunkt sind auch deshalb nicht einfach zu beschreiben, weil Glück und Engagement sowie Herausforderungen und Verzweiflung dort oft nah beieinanderliegen. Es ist ein Dilemma, das jede Person spürt und sieht, die sich mit diesen Schulen beschäftigt. Erst recht für uns als Stiftung, die sich für diese Schulen einsetzt. Denn einerseits ist da die große Kreativität, mit der in benachteiligten Quartieren Schule und Unterricht gestaltet werden, weil andererseits die Ausstattung sehr oft nicht die Möglichkeiten bietet, die notwendig wären. Da ist die Freude am direkten Kontakt, das Erleben von unmittelbarem Feedback durch die Schülerinnen und Schüler und gleichzeitig das Erfahren von Not, familiären Problemen und immer öfter von echtem Hunger, was einen mehr als frustriert. Und wir sehen die Leidenschaft und das Engagement der Lehrkräfte und aller, die an diesen Schulen arbeiten, und auf der anderen Seite das Gefühl, nicht die Unterstützung zu erhalten, die notwendig wäre.

So trifft der Lehrkräftemangel diese Schulen besonders hart: Es fehlen Lehr- und Fachkräfte. Es gibt immer das Sowohl-als-auch. In fast allen Befragungen halten sich die empfundene Belastung der Lehrkräfte und Schulleitungen und gleichzeitig die Selbstwirksamkeit mit Blick auf die Verbesserung der Bildungschancen der Kinder auf einem sehr hohen Niveau die Waage.

„Die Schulen im Brennpunkt sind auch deshalb nicht einfach zu beschreiben, weil Glück und Engagement sowie Herausforderungen und Verzweiflung dort oft nah beieinanderliegen.“

Schulgarderobe
Viele Kinder, wenig Lehrkräfte: Der Mangel wirkt sich an Schulen im Brennpunkt besonders gravierend aus.

Wie kann man also die Realität der Schulen mit ihren unterschiedlichen Belastungen abbilden? Es gibt Modelle, die das versuchen. Nicht alle, aber immer mehr Länder haben einen Sozialindex, der die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft einer einzelnen Schule mit einem Wert darstellt. Mit Beginn des Startchancen-Programms nach den Sommerferien muss jedes Bundesland einen solchen schulscharfen Index vorweisen. In Nordrhein-Westfalen gibt es dazu schon seit vielen Jahren Erfahrungen. Im Frühjahr 2024 wurde eine Aktualisierung für das Schuljahr 2024/2025 vom Schulministerium NRW angekündigt. Die Aktualisierung der Indikatoren, vor allem aber eine Neuausrichtung des Sozialindex, führt dazu, dass noch mehr Schulen zu den belasteten gezählt werden. Gerade in der letzten Stufe 9 waren es beispielsweise zu Anfang im Jahr 2020 vier – ab Schuljahresstart 2024/2025 sind es 136 Grundschulen. Der maßgebliche Grund dafür ist die Entscheidung, die fünf Prozent belastetsten Schulen per definitionem der Stufe 9 zuzuordnen. Auch in den anderen höheren Stufen von 6 bis 8 hat es Zuwächse gegeben. Die meisten Schulen, die wir kennen, sind über die Verschiebung an das untere Ende der Skala nicht überrascht. Sie sehen darin eher eine echte, richtige Einstufung und eine Chance auf Veränderung. Endlich werden ihre Probleme anerkannt und gesehen.

Chance auf Verbesserung

Die Sorge, dass damit eine Stigmatisierung einhergeht, hören wir fast nie. Sicherlich kann und wird es diese an der einen oder anderen Stelle geben. Aber wer seine Schülerinnen und Schüler kennt, der weiß um die Nöte und Sorgen und um die damit verbundenen Notwendigkeiten für die Schule. Und letztlich geht es darum und nicht um eine Zahl wie 6 oder 9. Entscheidend ist, dass den Stufen im Index eine Zuweisung von Ressourcen folgt. Nur dann haben die Schulen auf den letzten Stufen eine kleine Chance, auch in den Leistungsstudien besser abzuschneiden, weil sie ihre Kinder und Jugendlichen besser fördern können. Diesem Ziel sollten sich die denkbaren Befindlichkeiten unterordnen.

Foto: © Peter Gwiazda

Dr. Markus Warnke ist seit 2013 Geschäftsführer der Wübben Stiftung Bildung. Zuvor war er im Kinder- und Jugendministerium von Nordrhein-Westfalen sowie als Bundesgeschäftsführer beim Familienbund der Katholiken in Berlin tätig.

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