Von der Kieler Förde sind es nur wenige Schritte bis zu dem denkmalgeschützten Backsteingebäude. Obstbäume wachsen vor dem Eingang. In den Fluren hängen bunte, fröhliche Kindermalereien. Der Pausenhof mit Tischtennisplatten und Street-Soccer-Court ist erlebnispädagogisch gestaltet: Die Theodor-Storm-Gemeinschaftsschule in Kiel wirkt wie ein idealer Ort zum Lernen und Lehren. Doch die Schule liegt im Stadtteil Wellingdorf, er gilt als sozialer Brennpunkt. Der Schulsozialindex 9 signalisiert: Hier ist die Belastung besonders groß.
Einen Tag vor den Sommerferien sitzt Schulleiter Carsten Haack mit Schulentwicklungsberater Andreas Leipelt in seinem Büro. Beide blicken erneut auf ein herausforderndes Jahr zurück. Armut und Migration bestimmen die Arbeit von Haack und seinem Team. „Bei uns hat jedes vierte Kind Fluchterfahrung“, sagt der Schulleiter. Fast alle Schülerinnen und Schüler sprechen zu Hause kein Deutsch. Konflikte sind an der Tagesordnung, Schulabsentismus ist ein chronisches Problem. „Insgesamt starten unsere Schülerinnen und Schüler immer fünf Schritte hinter der Grundlinie“, sagt Haack. Er schaut zu Andreas Leipelt: „Deshalb bin ich froh über jede Unterstützung.“
Drei Pfeiler der Schulentwicklung
Seit über zehn Jahren arbeitet der Schulleiter nun mit dem systemischen Berater zusammen. 2009 musste Haack im Rahmen der Schulstrukturreform seine Realschule mit der benachbarten Grund- und Hauptschule fusionieren – und zwei unterschiedliche Welten zusammenführen. „An den Hauptschulen gab es geübte Leute im Umgang mit herausforderndem Verhalten. An der Realschule hingegen beruhte alles auf Fachautorität“, erinnert sich Haack.
Der Schulleiter nahm die Fusion zum Startpunkt einer systematischen Schulentwicklung. Dafür suchte er professionelle Begleitung und fand sie in Andreas Leipelt. „Um eine Draufsicht auf unsere Strukturen gewinnen zu können, war ich dringend darauf angewiesen, mich mit jemandem von außen auszutauschen“, schildert Haack. Zusammen mit dem Berater identifizierten Haack und sein Team drei Kernziele: ein gemeinsames Commitment des Kollegiums, eine intensivierte Beziehungsarbeit mit den Kindern und Familien sowie die Entwicklung und Förderung individualisierter Lernmöglichkeiten. „Wir möchten erfolgreiches Lernen trotz zahlreicher Schwierigkeiten ermöglichen und gleichzeitig unsere Lehrkräfte strukturiert unterstützen“, erklärt Haack den Plan.
Engmaschiges Unterstützungssystem für Lehrkräfte
Bei diesem Prozess nehmen die Klassenleitungen eine zentrale Rolle ein. „Das ist ein wesentlicher Unterschied zu anderen Schulen, an denen auffällige Kinder automatisch sozialpädagogischen Fachkräften zugewiesen werden oder in einem Trainingsraum landen, während sich die Klassenleitung auf den funktionierenden Rest konzentriert“, sagt Haack. „Bei uns kennt die Klassenleitung die Bedarfe jedes Kindes, außerdem seine familiären Verhältnisse, medizinischen Besonderheiten und sozialen Hintergründe. So kann sie den Großteil der Schülerinnen und Schüler individuell begleiten.“
„Wir möchten erfolgreiches Lernen trotz zahlreicher Schwierigkeiten ermöglichen und gleichzeitig unsere Lehrkräfte strukturiert unterstützen.“
Carsten Haack, Schulleiter der Theodor-Storm-Gemeinschaftsschule in Kiel
Alternative Lehrmaterialien
Fortschritte durch kontinuierliche Beratung
Gewachsenes Commitment
Carsten Haack hat mit seinem Team viel erreicht. Der größte und wichtigste Erfolg für den Schulleiter aber ist der starke Zusammenhalt, der im Kollegium gewachsen ist. Das Commitment, mit dem sich alle dem gemeinsamen Ziel verschrieben haben, „pädagogisch bestmöglich dafür zu sorgen, dass die Kinder sich angenommen, aufgehoben und ernst genommen fühlen.“
Doch Schulentwicklung endet nie, weiß Haack. Sein Ziel für die nähere Zukunft: mit datengestützter Schul- und Unterrichtsentwicklung die Voraussetzung für den gezielten Einsatz von KI zu schaffen, um Lehrmaterialien noch genauer auf den individuellen Bedarf der Schülerinnen und Schüler zuschneiden zu können. „Mit dem Blick auf Bildungsgerechtigkeit müssen wir noch stärker zu Lerncoachinnen und Lerncoaches werden, die einzelnen Kindern gezielt helfen. Kinder brauchen Erwachsene, die ihnen Mut machen: ‚Du schaffst das – auch wenn du es jetzt noch nicht kannst.‘“