Wenn Schulleiter Haris Kondza die Kinder beobachtet, die auf dem Pausenhof herumtoben, denkt er oft: „Das war ich früher.“ Von den knapp 420 Schülerinnen und Schülern an der Regenbogenschule in Duisburg-Marxloh sprachen 300 bei ihrer Einschulung kein Deutsch. Die meisten haben einen Migrationshintergrund, so wie ihr heutiger Schulleiter Kondza, als er Jahrzehnte zuvor in Oberhausen in die erste Klasse kam.
„Ich bin ein klassischer Migrant, auch wenn ich als Grundschüler schon relativ gut Deutsch sprach“, erzählt er. Beide Eltern stammten aus Bosnien und waren zum Arbeiten ins Ruhrgebiet gezogen. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Kondza bewusst die Schule im Brennpunkt auswählte. Er versteht die Sorgen der Zugewanderten, sieht ihre Mühen und nicht ihre Defizite. Das hilft dabei, Vertrauen zu schaffen. „Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass ich mit dieser positiven Grundeinstellung an Schulen in Duisburg-Hamborn oder Marxloh gut aufgehoben bin“, meint Haris Kondza.
„Das war eine völlig andere Welt.“
Haris Kondza, Schulleiter der Regenbogenschule in Duisburg-Marxloh
Lehren in einer anderen Welt
Dabei hätte es der Pädagoge auch einfacher haben können. Die erste Schule, an der er nach dem Studium unterrichtete, lag in Hünxe. „Das war eine völlig andere Welt“, erinnert sich der 50-Jährige. Auf dem Land, gebildete, interessierte Familien – als Lehrer mit Migrationshintergrund wurde er dort durchaus kritisch beäugt. „Ein Vater gestand mir mal, dass er zunächst skeptisch gewesen sei“, erinnert sich Kondza. „Als er dann beobachtet habe, wie ich mit sechs Tornistern auf dem Rücken über den Schulhof rannte, damit die Kinder den Bus noch erwischen, habe ihn das überzeugt.“
Sich anstrengen für das Wohl von Kindern: Das hat sich Kondza zur Lebensaufgabe gemacht. Dabei ist es ihm wichtig, jedem Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, egal, ob Kind oder Kollegin, reich oder arm, mit Migrationshintergrund oder ohne. Seine erste feste Stelle im sozial benachteiligten Hamborn wählte er aus Überzeugung. Trotzdem war die neue Umgebung für ihn ein Schock: „Alles schien so heruntergekommen. In den Klassenzimmern gab es riesige Wasserflecken.“ Aber schon am ersten Tag durfte Kondza selbstständig unterrichten, diese Gestaltungsfreiheit gefiel ihm. Der Schule in Hamborn blieb er zehn Jahre treu, bis er dem Werben des scheidenden Schulleiters der Regenbogenschule nachgab, seine Nachfolge anzutreten.
Die Regenbogenschule als Wirkungsort würde Haris Kondza mit keiner vermeintlich besser gestellten Schule eintauschen.
Den Blick auf das zu richten, was die Kinder können und schaffen – dieser positiven Sichtweise hat sich der Schulleiter verschrieben.
Fokus auf das Machbare
Das war 2013 – und markiert gleichzeitig den Beginn der Veränderungen in Marxloh. Immer mehr der türkischstämmigen Bewohnerinnen und Bewohner verließen den Stadtteil, in die oft maroden Häuser zogen bald Familien aus Rumänien und Bulgarien. Viele ihrer Kinder hatten nie eine Schule besucht, die meisten sprachen kein Wort Deutsch. Schon an seinem ersten Tag erlebte der damals 40-Jährige, was das im Schulalltag bedeutet. „Auf dem Flur warteten 16 Familien, die ihre Kinder mitten im Schuljahr anmelden wollten. Ich habe tief durchgeatmet, die Tür aufgemacht, und los ging’s“, erinnert sich Kondza. Kinder, die bei der Anmeldung nicht wissen, mit welcher Seite ein Stift schreibt, überraschen Kondza schon lange nicht mehr. „Früher waren die Kinder oft ein Jahr in der Entwicklung zurück. Heute kann die Hälfte von ihnen keine Linie oder einen Kreis zeichnen.“ Trotzdem legt Kondza den Fokus auf das, was die Kinder leisten – man dürfe eben nicht vergessen, unter welchen Bedingungen sie lebten.
Für viele Lehrkräfte ist die Aufgabe zu groß. Sie kehren der Schule den Rücken, während neue weit und breit nicht in Sicht sind. Das ist Kondzas größte Herausforderung. Nur ein Drittel seines Teams besteht noch aus ausgebildeten Pädagoginnen und Pädagogen. Dabei bietet die Regenbogenschule jedem Kind ein iPad, in allen Klassenräumen gibt es Beamer, sogar Harfe können die Schülerinnen und Schüler hier lernen – das Angebot würde selbst Akademikereltern überzeugen. Ein Schulleiter aus dem reicheren Duisburger Süden habe einmal angemerkt, wie bevorzugt die Regenbogenschule doch sei. Auf Kondzas Angebot, eine Weile zu tauschen, wollte er aber dann doch nicht eingehen.
„Auf dem Flur warteten 16 Familien, die ihre Kinder mitten im Schuljahr anmelden wollten. Ich habe tief durchgeatmet, die Tür aufgemacht, und los ging’s.“
Haris Kondza, Schulleiter der Regenbogenschule in Duisburg-Marxloh
Job aus vollem Herzen
Wirklich ernst gemeint hat Kondza das sowieso nicht. Denn er ist Schulleiter aus Leidenschaft – und zwar in Marxloh. Wenn Mädchen keine Badeanzüge haben und deshalb nicht mit zum Schwimmunterricht können, geht er eben ins Kaufhaus und besorgt welche. Diesen Job, sagt er, könne man nur aus vollem Herzen machen. Das Schöne daran sei, für Kinder etwas bewegen zu können. „Mit uns entdecken sie zum ersten Mal ein Schwimmbad, halten ein Instrument in der Hand und lernen auch sozial-emotional elementare Dinge“, sagt Kondza. Die Vielseitigkeit seiner Arbeitsfelder, vom Schwimmunterricht über die Schulentwicklung bis hin zur Elternarbeit, erfüllt ihn mit Zufriedenheit. Und wenn er nachmittags von der Arbeit kommt, freut er sich auf seine eigenen Kinder.
Dass Kondza auch loslassen kann, hat er in seinem Sabbatjahr gelernt. Da ist er mit seiner Frau und den drei Kindern durch Südosteuropa und Thailand gereist. Die Kinder haben in dieser Zeit Skifahren, Surfen und Schwimmen gelernt. Unterrichtet haben er und seine Frau sie selbst. Das habe allen gut getan – und ebenso der Schule. „Ich habe gesehen, dass in der Schule Dinge auch anders gut laufen können. Diese habe ich nach meiner Rückkehr beibehalten“, sagt Kondza. Nun ist er zurück im Ring und kämpft weiter für die Kinder von Marxloh.
Schulen im „Bildungsfairbunt.Marxloh“
Die von Haris Kondza geleitete Regenbogenschule und vier weitere Marxloher Schulen haben sich zum Bildungsfairbunt.Marxloh zusammengeschlossen, um Marxloher Kinder und Jugendliche zu fördern. Der Bildungsfairbunt.Marxloh wird von der Stadt Duisburg, dem Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen und der Wübben Stiftung Bildung unterstützt.
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