„Eine gute Kampfsportschule, auch viel Streetfight.“ Die Google-Bewertungen der Rosa-Parks-Schule in Herten lesen sich wie eine Aufforderung an Eltern, ihr Kind hier lieber nicht anzumelden. Und als Warnung an angehende Lehrkräfte, sich besser woanders zu bewerben. Benedikt Hohaus hat das alles nicht abgeschreckt, als er nach dem Referendariat 2021 auf der Suche nach einer Stelle war. Sein Examen war sehr gut, viele Schulen hätten den Lehrer für Deutsch und Philosophie mit Kusshand genommen. Ihn aber hat es hierhin gezogen, in den schmucklosen Betonbau in Herten im nördlichen Ruhrgebiet.
Gelebter Teamgeist
Man kennt sie, diese Geschichten von einzelkämpferischen Lehrkräften, die unter extremem Stress stehen und an ihrer problemgeplagten Schülerschaft verzweifeln. Und dann sitzt man hier, im Besprechungsraum der Rosa-Parks-Schule, einem freundlich lächelnden Mann gegenüber, der Gelassenheit und gleichzeitig Tatendrang ausstrahlt. Hohaus, Mitte 30 und im benachbarten Marl aufgewachsen, kennt sich hier aus. Er mag das Ruhrgebiet und die Menschen, für seinen Job als Lehrer wollte er zurück in die Heimat. Er schwärmt geradezu vom Teamgeist an seiner Schule, der sich schon an der Raumverteilung zeigt. Statt Lehrer- gibt es Teamzimmer, in denen alle Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer eines Jahrgangs sitzen. Das erleichtert neuen Lehrkräften den Einstieg. „Man kann hier kein Einzelkämpfer sein. Sonst würden wir mit den täglichen Herausforderungen gar nicht fertig“, erläutert Hohaus.
Die Rosa-Parks-Schule liegt mitten im Grünen. Kleine Einfamilienhäuser schmiegen sich an den Rand des Naherholungsgebietes Backumer Tal, ein Golfklub und ein Ponyhof sind ganz in der Nähe. „Aber von den Kindern hier besitzt niemand ein Pony, manche haben zu Hause nicht einmal ein Buch“, sagt Hohaus. Die 1050 Schülerinnen und Schüler kommen jeden Morgen in Bussen aus weniger bevorzugten Wohngebieten an die Schule. Die meisten haben einen Migrationshintergrund, für sie ist Deutsch eine Fremdsprache. Die Schulbürokratie nennt das „Sozialindex 8“. Weil der Sprachschatz der Jugendlichen Höflichkeitsfloskeln kaum hergibt, ist der Umgangston locker und oft ziemlich direkt. „Das gefällt mir an den Schülerinnen und Schülern hier“, meint Hohaus. „Sie sagen ihre Meinung ganz ungefiltert und sind in der Kommunikation hundertprozentig ehrlich.“
„Mir gefällt die Heterogenität der Schülerschaft. Hier habe ich die besten Erfahrungen gemacht und gelernt, dass man Dinge positiv verändern kann.“
Benedikt Hohaus, Lehrer an der Rosa-Parks-Schule in Herten
Ehrlich, vertrauensvoll, authentisch
Diese offene Atmosphäre war es, die Hohaus sofort überzeugte, als er 2021 seine Bewerbungsunterlagen persönlich in der Gesamtschule abgab. Ein Lehrer führte ihn durch die Flure und erzählte, was ihm an der Schule gefällt und was nicht. Ehrlich, vertrauensvoll und authentisch sei diese Begrüßung gewesen. Danach musste Hohaus nicht mehr lange überlegen. Denn dass er an eine Gesamtschule wollte, stand für ihn schon im Studium fest. „Mir gefällt die Heterogenität der Schülerschaft. Hier habe ich die besten Erfahrungen gemacht und gelernt, dass man Dinge positiv verändern kann“, sagt er.
Dass er an seinem ersten Tag im Februar 2022 im wahrsten Sinne des Wortes erst mal aufräumen musste, hat Hohaus dann aber doch überrascht. Durch das Fenster seiner neuen 6. Klasse erblickte er einen Müllhaufen, der sich auf dem Vordach auftürmte. Er kletterte hinaus, sammelte den Abfall ein und stellte den Müllsack neben das Lehrerpult. „Hier wirft nie wieder jemand Müll aus dem Fenster“, erklärte er damals seinen Schülerinnen und Schülern. Bis heute halten sich alle daran.
Sein Unterricht ist nur der eine Teil seiner Arbeit. Den versucht er so lebensnah zu gestalten wie möglich. Themen der Staatstheorie und Ethik verknüpft er mit anschaulichen Beispielen. Dann spricht er über die Gefahren des Terrorismus oder die ethischen Herausforderungen bei selbstfahrenden Autos. Im Deutschunterricht ist er vor allem ein Sprachvorbild, so wie er sich überhaupt immer wieder bemüht, ein Vorbild zu sein. Denn die pädagogische Arbeit macht einen ebenso wichtigen Teil seines Jobs aus. „Ich beleidige niemanden, lasse mich aber auch nicht beleidigen“ – das gehört zu seinen Regeln. Er pflegt eine klare Ansprache, fordert Rücksicht und Verlässlichkeit ein. Dasselbe dürfen die Kinder und Jugendlichen von ihm erwarten. Von Eltern verlangt er nachdrücklich, dass sie sich für ihre Kinder interessieren. Vor den Elternabenden etwa lässt er ausrichten, dass er die Teilnahme als selbstverständlich voraussetzt – und die meisten Eltern erscheinen.
Die Google-Bewertungen werfen manchmal kein gutes Licht auf die Schule. Benedikt Hohaus aber hält große Stücke auf die Schulgemeinschaft.
Bei der Arbeit mit der bunten Schülerschaft helfe es dem Lehrer, dass er nicht so zart besaitet sei. „Und meine eigene Lebenserfahrung”, so Hohaus.
Erfolg, das sind nicht nur gute Noten
Viele seiner Schülerinnen und Schüler tragen einen Rucksack voller Probleme mit sich herum. Hohaus streckt ihnen allen die Hand entgegen. Dabei bemisst sich Erfolg für ihn nicht nur in guten Noten. Erfolg ist, wenn ein Schüler ihn beispielsweise fragt, wie er einen Streit gewaltfrei lösen kann. Oder wenn einer Schülerin nach dem Praktikum eine Ausbildungsstelle angeboten wird. Kürzlich hat Hohaus mit zwei Kolleginnen eine Schülerzeitung gegründet. „Eine Schülerin schreibt in jeder Ausgabe etwas über die Google-Bewertungen und kommentiert, was die Schule etwa gegen Gewalt unternimmt. Das ist eine tolle Öffentlichkeitsarbeit. Unsere Schulleitung unterstützt solche Projekte zu hundert Prozent“, lobt Hohaus. Überhaupt böten seine Kolleginnen und Kollegen so viele tolle Projekte an, von der Ponyhof-AG über Tanzwochen, Musik- und Theateraufführungen bis hin zur Zusammenarbeit mit externen Kooperationspartnerinnen und -partnern. „Davon profitieren unsere Schülerinnen und Schüler ganz enorm“, berichtet er.
Was ihm bei der Arbeit mit der bunten Schülerschaft hilft? „Dass ich nicht so zart besaitet bin. Und meine eigene Lebenserfahrung“, erwidert der Lehrer. Die hat er während des Studiums gesammelt, das er sich mit Jobs finanzierte: Werkzeugfabrik, Logistik, Krankenhaus, Gastronomie. „Ich maße mir an, zu wissen, unter welchen Bedingungen viele der Eltern hier arbeiten“, sagt er. Das helfe ihm auch in der Elternarbeit. „Wenn man die Eltern auf seiner Seite hat, gewinnt man auch das Kind.“