Serie „Schule im Brennpunkt 2025“

„Mein Kollegium gibt alles, um die Kinder zu unterstützen“

Hohes Engagement über die Belastungsgrenze hinaus: die Schulleiterin der Grund­schule Bliesschule in Ludwigshafen über kluge Veränderungen – und benötigte Hilfe.

„Wer lange an einer Schule in einem Brennpunkt arbeitet und täglich mit vielfältigen Herausforderungen wie Streit, Hunger und Armut konfron­tiert ist, der macht seinen Beruf mit Herzblut. Oder er geht. Mein Kolle­gium gibt alles, um die Kinder zu unterstützen – und stößt damit oft an die Grenzen seiner Kräfte. Wir versuchen, die hohe Belastung der Lehrkräfte so gering wie möglich zu halten. Viele unserer Lehrkräfte arbeiten in Teilzeit. Wenn sie nur zwölf oder 14 Lehrerwochenstunden haben, teilen sie sich die Klassen­leitung, sonst ist es einfach zu viel. Ihnen steht außer­dem in den ersten Klassen eine pädagogische Fach­kraft zur Seite. Darüber hinaus testen wir mit den Erstklässlerinnen und Erstklässlern offenere Lern­formen, fördern eine stärkere Zusammen­arbeit im multipro­fessionellen Team und bekommen Unterstützung durch eine Förder­schul­lehrerin, die die Kinder gezielt fördert.

Um uns mehr Zeit fürs Unterrichten zu verschaffen, möchten wir auch auf das Churermodell umlenken und hoffen, dass wir dafür Gelder aus dem Startchancen-Programm nutzen können. Außerdem versuchen wir eine Art Restart-Raum zu bekom­men: Dort können Kinder, die eine Pause vom Schulalltag brauchen, weil sie sonst ausflippen und die ganze Klasse stören würden, erst mal durchatmen. Eine Sozial­arbeiterin oder ein Sozial­arbeiter soll ihnen zuhören und ihnen Methoden zeigen, um sich zu beruhigen. Insgesamt bräuchten wir viel mehr Stunden von Schul­sozial­arbeiterinnen oder Schulsozial­arbeitern und im Grunde auch eine Psycho­login oder einen Psychologen im Kollegium. Denn oft steckt hinter dem Verhalten mehr, etwa ein Trauma, aber wir Lehrkräfte sind keine Therapeutinnen und Thera­peuten. Die persönlichen Schicksale belasten uns natürlich enorm.

Sehr viel Zeit nehmen auch Eltern­gespräche ein. Manche Eltern müssen wir drei- oder viermal einladen, bis sie kommen. Oft müssen wir dann noch eine Über­setzerin oder einen Übersetzer organisieren. Nicht selten stehen Eltern auch unangemeldet vor der Tür und wollen, dass ihr Anliegen unverzüglich geklärt wird. Aber das geht neben dem eigent­lichen Unterricht nicht. Hilfreich wären zwei Entlastungsstunden, damit wir das nicht alles nebenher oder nach Feierabend machen müssen.

Wie alle Schulen müssen auch wir zu bestimmten Zeitpunkten schrift­liche Leistungstests durchführen oder festgelegte Portfolios mit den Kin­dern erarbeiten, die in der weiter­führenden Schule ebenfalls zum Ein­satz kommen. Dabei wünschen wir uns mehr Flexibilität: Erstens sollten die Tests digital erfolgen – mit pass­enden Förder­vorschlägen für jedes Kind auf Grundlage der Ergebnisse. Zweitens sollten die Test­zeitpunkte an die individuellen Bedürfnisse und Ent­wicklungen der Kinder ange­passt werden. Es ist unfair, Kinder, die wenig Deutsch sprechen, zeitgleich mit denen zu testen, die in einem fördernden Um­feld aufwachsen.

Wichtig ist für uns auch, dass die festgelegte Portfolio­arbeit inhaltlich sinnvoll für unsere Schülerinnen und Schüler ausgestaltet ist – ein Bei­spiel ist der Medien­kompass. Dieses Arbeitsheft verfolgt grundsätzlich ein berechtigtes Anliegen, aber wir könnten die Zeit, die wir dafür ver­wenden, viel besser nutzen. Zum Beispiel, um die Basiskompetenzen der Kinder zu trainieren, damit sie die Mindeststandards erreichen.“

Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Katharina Werle
Silke Genzlinger ist seit 2012 Schulleiterin der Grundschule Bliesschule in Ludwigs­hafen. Zuvor war sie dort seit 2008 Kon­rektorin.

Umfrage „Schule im Brennpunkt 2025“

Mit welchen Herausforder­ungen haben Schulen, die in sozialen Brenn­punkten liegen, zu kämpfen, und was ist das Spezifische an ihnen? Antworten darauf liefert die Befragung „Schule im Brenn­punkt 2025“, die das Ziel hat, die Situation an Schulen im Brennpunkt sys­tematisch sowie länder- und schulstufe­nübergreifend zu erfassen. Die Ergebnisse basieren auf den Ein­schätzungen von insgesamt 226 Schulleitungen aus Grund­schulen und weiter­führenden Schulen in vier deutschen Bundesländern. Durchgeführt wurde die Befragung vom impaktlab, der wissen­schaft­lichen Einheit der Wübben Stiftung Bildung.

In der Serie „Schule im Brenn­punkt 2025” geben fünf Schul­leitungen ihre Ein­schätzungen zu den folgenden zentralen Bereichen der Umfrage: Lernvoraus­setzungen, Arbeitsbelastung, Lehrpläne und Lehrwerke, Eltern­arbeit und Startchancen-Programm.

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