„Wer lange an einer Schule in einem Brennpunkt arbeitet und täglich mit vielfältigen Herausforderungen wie Streit, Hunger und Armut konfrontiert ist, der macht seinen Beruf mit Herzblut. Oder er geht. Mein Kollegium gibt alles, um die Kinder zu unterstützen – und stößt damit oft an die Grenzen seiner Kräfte. Wir versuchen, die hohe Belastung der Lehrkräfte so gering wie möglich zu halten. Viele unserer Lehrkräfte arbeiten in Teilzeit. Wenn sie nur zwölf oder 14 Lehrerwochenstunden haben, teilen sie sich die Klassenleitung, sonst ist es einfach zu viel. Ihnen steht außerdem in den ersten Klassen eine pädagogische Fachkraft zur Seite. Darüber hinaus testen wir mit den Erstklässlerinnen und Erstklässlern offenere Lernformen, fördern eine stärkere Zusammenarbeit im multiprofessionellen Team und bekommen Unterstützung durch eine Förderschullehrerin, die die Kinder gezielt fördert.
Um uns mehr Zeit fürs Unterrichten zu verschaffen, möchten wir auch auf das Churermodell umlenken und hoffen, dass wir dafür Gelder aus dem Startchancen-Programm nutzen können. Außerdem versuchen wir eine Art Restart-Raum zu bekommen: Dort können Kinder, die eine Pause vom Schulalltag brauchen, weil sie sonst ausflippen und die ganze Klasse stören würden, erst mal durchatmen. Eine Sozialarbeiterin oder ein Sozialarbeiter soll ihnen zuhören und ihnen Methoden zeigen, um sich zu beruhigen. Insgesamt bräuchten wir viel mehr Stunden von Schulsozialarbeiterinnen oder Schulsozialarbeitern und im Grunde auch eine Psychologin oder einen Psychologen im Kollegium. Denn oft steckt hinter dem Verhalten mehr, etwa ein Trauma, aber wir Lehrkräfte sind keine Therapeutinnen und Therapeuten. Die persönlichen Schicksale belasten uns natürlich enorm.
Sehr viel Zeit nehmen auch Elterngespräche ein. Manche Eltern müssen wir drei- oder viermal einladen, bis sie kommen. Oft müssen wir dann noch eine Übersetzerin oder einen Übersetzer organisieren. Nicht selten stehen Eltern auch unangemeldet vor der Tür und wollen, dass ihr Anliegen unverzüglich geklärt wird. Aber das geht neben dem eigentlichen Unterricht nicht. Hilfreich wären zwei Entlastungsstunden, damit wir das nicht alles nebenher oder nach Feierabend machen müssen.
Wie alle Schulen müssen auch wir zu bestimmten Zeitpunkten schriftliche Leistungstests durchführen oder festgelegte Portfolios mit den Kindern erarbeiten, die in der weiterführenden Schule ebenfalls zum Einsatz kommen. Dabei wünschen wir uns mehr Flexibilität: Erstens sollten die Tests digital erfolgen – mit passenden Fördervorschlägen für jedes Kind auf Grundlage der Ergebnisse. Zweitens sollten die Testzeitpunkte an die individuellen Bedürfnisse und Entwicklungen der Kinder angepasst werden. Es ist unfair, Kinder, die wenig Deutsch sprechen, zeitgleich mit denen zu testen, die in einem fördernden Umfeld aufwachsen.
Wichtig ist für uns auch, dass die festgelegte Portfolioarbeit inhaltlich sinnvoll für unsere Schülerinnen und Schüler ausgestaltet ist – ein Beispiel ist der Medienkompass. Dieses Arbeitsheft verfolgt grundsätzlich ein berechtigtes Anliegen, aber wir könnten die Zeit, die wir dafür verwenden, viel besser nutzen. Zum Beispiel, um die Basiskompetenzen der Kinder zu trainieren, damit sie die Mindeststandards erreichen.“

Umfrage „Schule im Brennpunkt 2025“
Mit welchen Herausforderungen haben Schulen, die in sozialen Brennpunkten liegen, zu kämpfen, und was ist das Spezifische an ihnen? Antworten darauf liefert die Befragung „Schule im Brennpunkt 2025“, die das Ziel hat, die Situation an Schulen im Brennpunkt systematisch sowie länder- und schulstufenübergreifend zu erfassen. Die Ergebnisse basieren auf den Einschätzungen von insgesamt 226 Schulleitungen aus Grundschulen und weiterführenden Schulen in vier deutschen Bundesländern. Durchgeführt wurde die Befragung vom impaktlab, der wissenschaftlichen Einheit der Wübben Stiftung Bildung.
In der Serie „Schule im Brennpunkt 2025” geben fünf Schulleitungen ihre Einschätzungen zu den folgenden zentralen Bereichen der Umfrage: Lernvoraussetzungen, Arbeitsbelastung, Lehrpläne und Lehrwerke, Elternarbeit und Startchancen-Programm.
Zu den Beiträgen der Serie „Schule im Brennpunkt 2025“:
Umfrage
„Schule im Brennpunkt 2025“: Wo die Herausforderungen am größten sind
Serie „Schule im Brennpunkt 2025“
„Wir brauchen eine Reform des Unterrichts“
Serie „Schule im Brennpunkt 2025“
„Starke Beziehungsarbeit ist zentral für Lernerfolge“
Serie „Schule im Brennpunkt 2025“
„Viel zu weit weg von der Lebenswelt der Mädchen und Jungen“
Serie „Schule im Brennpunkt 2025“
„Auch Klassenleitungen an Grundschulen brauchen Entlastungsstunden“
Serie „Schule im Brennpunkt 2025“