Frühkindliche Bildung

Ungleich versorgt

Eine neue Studie zeigt: Sozioökonomisch schwache Stadtteile haben in puncto Kitaangebot das Nachsehen. Ein Zustand, der sich ändern muss – und kann.

Zu wenige Kitaplätze – viele Familien können von diesem Problem ein Lied singen. Das Jahr 2013 sollte eine Ver­besserung für viele Eltern markieren, als die Betreuungs­garantie für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr in Kraft trat. Begleitet wurde dies mit einem rasanten Kitaausbau. Doch die Nachfrage wuchs schneller, sodass die Ver­sorgungs­lücke 2024 für die unter Dreijährigen bei etwa 300.000 Plätzen lag. Da stellt sich die Frage, wie sich die Einrichtung­en deutsch­landweit und innerhalb der Städte verteilen. Und ob das Angebot genügend Familien in sozial benach­tei­ligten Stadtteilen, die besonders darauf angewiesen sind, erreicht.

Spielen, Zählen, Sozialverhalten: Kindergärten sind wichtige Orte für die Bildungsbiografie von Kindern. Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda

Aus dem Bericht des Beauftragten der Bundes­regierung für Ost­deutsch­land 2023 geht hervor, dass Menschen in Städten im Vergleich zu jenen auf dem Land zufriedener sind mit den Angeboten der Daseins­vorsorge, sei es in puncto Einkaufs­möglich­keiten oder dem ÖPNV. Außer beim Kitaangebot: Da ist die länd­liche Bevölkerung zufriedener. Außerdem gibt es eine sehr hohe und zunehmende sozio­ökonomische Segregation in Städten. Die räum­liche Abgrenzung und Aufteilung verschie­dener sozialer Gruppen innerhalb von Städten nimmt also zu, und zwar vor allem bei Kindern aus sozial schwachen Haushalten. Die PISA-Studien zeigen, dass sozio­ökonomische Hintergründe einen wachsen­den Einfluss auf die Bildung von Kindern haben. Wenn Kitas vor­han­­dene Nachteile nicht auffangen können, hat dies weitreichende Folgen für die Bildungs­biografie der Kinder.

Dieser Gemengelage hat sich unser Team aus Forscher­­innen und For­schern des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und des Max-Planck-Instituts für Gesellschafts­forschung angenommen und die Ver­teilung von Kitas in Städten systematisch ana­lysiert. Der Titel der Studie heißt, passend zu unserer Hypo­these, „Kita-Versorgungs­ungleichheiten – eine Analyse auf Stadtteilebene“.

Die Kernergebnisse im Überblick

  • 20 Prozent der Quartiere mit der niedrigsten SGB-II-Quote (geringer Anteil an Bürgergeld­empfänger­innen und -em­pfängern innerhalb einer Stadt) sind um 15,7 Prozent besser mit Kitas versorgt als der jeweilige Stadtdurch­schnitt.

  • Die 20 Prozent der Quartiere mit der höchsten SGB-II-Quote (hoher Anteil an Bürgergeld­empfänger­innen und -em­pfängern innerhalb einer Stadt) weisen hingegen 14,5 Prozent weniger Einrichtungen im Vergleich zum Stadt­durch­schnitt auf.

  • Der Unterschied zwischen den sozioökonomisch am besten und den am schlechtesten gestellten Quartieren beträgt über ein Drittel.

  • Mitunter besteht eine doppelt, dreifach oder sogar vierfach so gute Ver­sorgung eines sozio­öko­nomisch gut gestellten Stadtteils verglichen mit einem prekären Stadtteil.

  • Die Differenzierung nach Träger­schaften fördert dabei markante Unterschiede zutage: Die Un­gleichheit in der Ver­sorgung kommt daher zustan­de, dass sich freie gemein­nützige Träger (kon­fessionelle und sonstige) deutlich häufiger in prosperie­renden Quartieren ansiedeln als in sozial schwachen.

  • Für westdeutsche Städte zeigt sich, dass sich öffentliche Kitas sogar stärker in prekären Stadtteilen ansiedeln. Das mildert die Versor­gungsun­gleichheiten an Einrich­tungen zwar etwas ab, kann sie jedoch nicht kompensieren.
Gut situierte Quartiere neben sozioökonomisch schwachen Stadtteilen: Letztere haben in Sachen Kitaversorgung erhebliche Nachteile. Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Katharina Kemme
Die Betreuungsgarantie für kleine Kinder hatte viele Kitaeröffnungen zur Folge. Doch diese können die Unterversorgung in benachteiligten Stadtteilen nicht auffangen. Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Frieda Schurig

Warum Kommunen jetzt handeln müssen

Frühkindliche Bildung verbessert die Startchancen in der Schule – insbe­sondere für Kinder aus sozio­öko­nomisch benachteiligten Haus­halten. Wenn ausgerechnet diese Haushalte unter­versorgt sind, verspielen wir enormes Potenzial. Ein Grund, weshalb die Kern­aussage unserer Studie auch lautet: Dort, wo die Kitas am meisten nützen, sind sie am rarsten.

Es muss sich vieles ändern, und die Hebel dafür gibt es: Erstens muss sich die öffentliche Trägerschaft (noch) stärker auf prekäre Quartiere fokussie­ren. Zweitens sollten die Kommunen die Standortent­scheidungen gemeinnütziger Träger besser steuern. Drittens wäre eine besondere Unterstützung von Elterninitiativen in sozial prekären Stadtteilen zu begrüßen. Der in ein­kommens­­starken Stadtteilen vorherr­schende Mangel an Kita­plätzen wird oft durch privates Elternengagement ausgeglichen. Indem Kommunen Eltern in einkom­mens­schwächeren Quartieren unterstützen, etwa durch Beratung, könnten diese selbst entsprechende Initiativen gründen und so die Ver­sorgungsungleichheit so gut es geht auffangen.

Foto: © Uta Wagner, Institut der deutschen Wirtschaft

Dr. Melinda Fremerey ist persönliche Referentin des Direktors des Instituts der deutschen Wirtschaft und eine der Autorinnen der Studie „Kita-Versorgungs­ungleichheiten – eine Analyse auf Stadtteil­ebene“.

Zur Methodik

Die Autorinnen und Autoren Matthias Diermeier, Jan Engler und Melinda Fremerey vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sowie Leon Wansleben vom Max-Planck-Institut für Gesellschafts­forschung (MPIfG) haben Daten über Google von 66.355 Kitas deutschlandweit erhoben. Nach Aufbereitung der Daten wurden 17.099 Einrichtungen in 2.613 Quartieren in 52 deutschen Städten identifiziert. Erfasst wurden öffentliche, konfessionelle und sonstige gemeinnützige Träger. Kitas wurden anteilig dem Stadtteil zugeordnet, in dem sie liegen, oder dem Stadt­teil, aus dem sie innerhalb von fünf Pkw-Minuten über die Stadt­teilgrenze hinweg erreichbar sind. Als Kita-Versorgungsindikator wurde die Anzahl an erreichbaren Kitas pro Kind im Quartier im Verhältnis zum Stadtdurchschnitt berechnet. Für alle Ergebnisse wurden die Quartiere anhand der Anzahl dort gemeldeter Kinder gewichtet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


… im Postfach

Abonnieren Sie unseren wöchentlichen Newsletter mit den besten Geschichten.

[sibwp_form id=1]

Das könnte Sie auch interessieren:

Bitte beachte unsere Netiquette.

Auf SchuB möchten wir den fachlichen Austausch der Schulen im Brennpunkt untereinander fördern. Daher freuen wir uns sehr über Eure Meinung zu unseren Beiträgen. Für einen respektvollen und konstruktiven Austausch bitten wir Euch folgende Regeln zu beachten:
Wir danken Euch für Eurer Verständnis und Eure Mitwirkung und wünschen Euch viel Freude beim Kommentieren.

Wie sind Sie auf uns aufmerksam geworden?

Wie sind Sie auf uns Aufmerksam geworden